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Lücken im Gewalthilfegesetz - migrantische Frauen besonders gefährdet

Gewalthilfegesetz

20.02.2025

Häusliche Gewalt ist ein globales Problem, das Menschen – insbesondere Frauen – unabhängig von sozialer Klasse, Alter und Herkunft betrifft. Dennoch befinden sich migrantische Frauen und ihre Kinder in Deutschland besonders häufig in Situationen, in denen sie gefährdet sind. Jeden Tag erleben mehr als 364 Frauen in Deutschland Gewalt durch ihren (Ex-)Partner (Stand 2023). Im Vergleich zum Vorjahr (2022) ist die Zahl der registrierten Fälle häuslicher Gewalt um 6,5 % gestiegen. Dies sind jedoch nur die polizeilich erfassten Fälle – die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen.

Laut der Istanbul-Konvention müssten in Deutschland rund 21.000 Schutzplätze für Frauen existieren. Tatsächlich gibt es jedoch nur etwa 7.700 Plätze. Das bedeutet, dass Frauen und Frauen mit Kindern häufig abgewiesen werden, für die Finanzierung selbst aufkommen oder weite Strecken reisen müssen, um einen freien Platz zu finden.

Kurz vor der Bundestagswahl haben SPD, Grüne und Union das von Frauenrechts- und Gewaltschutzverbänden geforderte Gewalthilfegesetz verabschiedet – wenn auch mit Kompromissen. Es sichert gewaltbetroffenen Frauen erstmals einen bundesweit garantierten, kostenfreien Anspruch auf einen Platz in einem Frauenhaus sowie auf Schutz und Beratung. Zudem konkretisiert es staatliche Schutzverpflichtungen aus dem Grundgesetz und der Istanbul-Konvention.

Das Ziel des Gewalthilfegesetzes ist die Bereitstellung ausreichender, bedarfsgerechter und kostenfreier Schutz-, Beratungs- sowie Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen. Zudem sollen Maßnahmen zur Prävention, darunter Täterarbeit und Vernetzungsarbeit, gefördert werden. An der Finanzierung des Hilfesystems beteiligt sich der Bund bis 2036 mit 2,6 Milliarden Euro. Der Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung tritt jedoch erst 2032 in Kraft.

Lücken im Gewalthilfegesetz


Nach dem Beschluss der Gewaltschutzstrategie im Dezember 2024 ist das Gewalthilfegesetz ein weiterer wichtiger Schritt zur Umsetzung der Istanbul-Konvention und zur Bekämpfung der wachsenden Gewalt gegen Frauen und queere Menschen in Deutschland. Doch zentrale Lücken bleiben bestehen, insbesondere beim Schutz migrantischer und geflüchteter Frauen. Ihre Situation unterscheidet sich trotz vieler Parallelen von der Gewaltbetroffenheit von Frauen ohne Migrationshintergrund.

Sprachliche und andere Zugangshürden sowie fehlendes Wissen über Gesetze, Regelungen und Unterstützungsangebote erschweren den Zugang zu Schutzmaßnahmen erheblich. Aufgrund begrenzter Ressourcen und Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt sind migrantische und geflüchtete Frauen in besonderem Maße auf die Unterstützung von Frauenhäusern angewiesen.

Die psychischen Belastungen durch Flucht oder Migration sowie die Herausforderungen des Ankommens können zu Konflikten in der Familie führen. Familienrollen und Machtverhältnisse verändern sich, was insbesondere Männer als Kontrollverlust erleben können. Eine fehlende Arbeitserlaubnis, beruflicher Abstieg oder Diskriminierungserfahrungen verstärken oft Spannungen, die in Gewalt eskalieren können.

Für betroffene Frauen sind mehrsprachige und kultursensible Beratungsangebote, zielgerichtete Informationen und Präventionsarbeit essenziell. Diese müssen Mehrfachdiskriminierung sowie die besondere Gefährdungssituation durch Flucht und Migration einbeziehen.

Aufenthaltsstatus und Diskriminierung als Hindernis

Frauen, deren Aufenthaltsstatus an eine Ehe mit einem gewalttätigen Partner gebunden ist, stehen vor erheblichen aufenthaltsrechtlichen Hürden. Sie haben keinen sicheren Zugang zu Schutzangeboten, was dringende gesetzliche Änderungen erforderlich macht.

Geflüchtete Frauen und queere Menschen in Gemeinschaftsunterkünften sind besonders stark von geschlechtsspezifischer Gewalt bedroht. Nur wenige Fälle werden gemeldet, da die Angst groß ist, dass eine Meldung das Asylverfahren negativ beeinflussen könnte. Notwendig sind daher die frühzeitige Identifikation vulnerabler Personen durch geschultes Fachpersonal, ein gesicherter Zugang zu psychosozialen Hilfsangeboten sowie die Bereitstellung muttersprachlicher Berater*innen und Fachkräfte.

Die Residenzpflicht stellt für geflüchtete Frauen im Asylverfahren ein weiteres Hindernis dar, da sie ihren Wohnort nicht frei wählen dürfen. Dies erschwert eine sichere Unterbringung in Frauenhäusern erheblich.

Rolle der migrantischen Selbstorganisationen

Mehr Beratungsstellen bei häuslicher Gewalt sind wichtig. Sind das aber Orte, an denen rassistische Vorstellungen über Familien und Beziehungen aus bestimmten Herkunftsländern vorherrschen und Hilfesuchende zusätzlich diskriminiert werden, so können sie kein Vertrauen aufbauen. Migrantische Selbstorganisationen, die entweder selbst Beratungsstellen betreiben oder auf antirassistisch arbeitende Stellen verweisen können, spielen daher eine zentrale Rolle.

Verbände wie DaMigra (Dachverband der Migrantinnenorganisationen) setzen sich auch auf politischer Ebene für die Rechte von Frauen, Mädchen und queeren Personen mit Migrations- und/oder Fluchtgeschichte ein und arbeiten daran, gesetzliche Rahmenbedingungen zu verbessern. Sie sensibilisieren nicht nur die Öffentlichkeit für spezifische Herausforderungen, sondern informieren auch zielgruppengerecht und in verschiedenen Herkunftssprachen innerhalb ihrer Communities – eine Zielgruppe, die von anderen Kampagnen zu häuslicher Gewalt oft nicht erreicht wird.

Verknüpfung von Rassismus und Sexismus

Kulturalisierende und rassistische Vorurteile bei Polizei, Justiz, Jugendämtern und Beratungsstellen behindern den Schutz von Frauen und Kindern. Dies kann dazu führen, dass Fälle häuslicher Gewalt nicht ernst genommen oder falsch beurteilt werden. Daher ist eine umfassende Weiterbildung für alle Akteur*innen im Gewaltschutz essenziell.

Die Berichterstattung zum neuen Gewalthilfegesetz zeigt einmal mehr: Sexualisierte und/oder rassistische Gewalterfahrungen von Frauen mit Migrationsgeschichte werden in gesellschaftlichen Debatten kaum sichtbar. Einen Femizid als „Beziehungsdrama“ oder „Eifersuchtstat“ zu framen, verschweigt die strukturelle Gewalt an Frauen. Wird die Tat kulturalisiert und ethnisiert, indem „kulturelle Unterschiede“ als Gründe für die Gewalt an Frauen aufgeführt wird, werden zudem rassistische Stereotypen verstärkt. 

Ein inklusiver Gewaltschutz ist notwendig

Die nächste Regierung hat die Aufgabe, den gesetzlichen Rahmen für den Schutz vor geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt weiterzuentwickeln, um den Verpflichtungen der Istanbul-Konvention nachzukommen. Dies ist auch eine Frage des Kinderschutzes, denn Gewalt gegen einen Elternteil bedeutet immer auch, dass Kinder ebenso Betroffene sind und in einem gewaltvollen Umfeld aufwachsen.

Um das Gesetz weiterzuentwickeln, muss sich kritisch mit den bestehenden Ausschlüssen im System des Gewaltschutzes auseinandergesetzt werden. Im Gesetz sind auch trans, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen in den Schutzrahmen nicht einbezogen, obwohl diese ebenso überproportional von Gewalt betroffen sind. Ein ganzheitlicher Ansatz muss sicherstellen, dass alle gewaltbetroffenen Personen – unabhängig von Herkunft, Aufenthaltsstatus oder geschlechtlicher Identität – den Schutz erhalten, den sie benötigen. Nur durch ein gesellschaftliches Umdenken, das geschlechtsspezifische Gewalt als gemeinsame Verantwortung begreift, können wir langfristige und tiefgreifende Veränderungen erreichen.

Quellen: 

Frauenhauskoordinierung e.V. (2023). Bundesweite Frauenhausstatistik 2023; https://www.Frauenhauskoordinierung.de/fileadmin/redakteure/Publikationen/Statistik/2024-10-08_Langfassung_Frauenhausstatistik_2023_final.pdf (Zugriff am 18. Februar 2025)

Council of Europe (2011). Council of Europe Convention on Preventing and Combating Violence Against Women and Domestic Violence (Istanbul Convention); https://www.coe.int/en/web/istanbul-convention/text-of-the-convention (Zugriff am 18. Februar 2025).

Bundesregierung (2024). Bundeslagebild: Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023; https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/lagebild-gewalt-gegen-Frauen-2321162 (Zugriff am 18. Februar 2025).

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2025). Historischer Schritt im Kampf gegen Gewalt an Frauen; https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/historischer-schritt-im-kampf-gegen-gewalt-an-Frauen-255088 (Zugriff am 18. Februar 2025).