Die Tagung ‚Migrantische Familien zwischen Mehrfachbelastung und Neuanfang' am 02.12.24 widmete sich den Herausforderungen, denen neu ins Land gekommene Familien nach ihrer Ankunft in Deutschland gegenüberstehen, aber auch den Möglichkeiten eines Neuanfangs. 


Die Gründe für Migration von Familien nach Deutschland sind vielfältig: Flucht und Asyl, Familiennachzug oder eine neue Arbeitsstelle. Eines haben die Familien jedoch gemeinsam: Sie erhoffen sich gute Bedingungen, um ein neues Leben, insbesondere für ihre Kinder, aufzubauen. Die Unterstützung für Familien in Deutschland ist zwar gut ausgebaut, aber nicht immer einfach zugänglich. Gleichzeitig stehen neuzugewanderte Familien vielfältigen Herausforderungen gegenüber, für deren Lösung sie oft nicht die sprachlichen Kenntnisse oder spezifischen Informationen besitzen. 


Der Optimismus und die Hoffnung, dass die Kinder sich ein besseres Leben aufbauen, ist kurz nach der Migration am größten; die Erwartungen der Familien an die Gesellschaft und an sich selbst, aber auch an ihre Kinder sind hoch, während gleichzeitig von außen viele Erwartungen an die Familien gestellt werden: eine neue Sprache lernen, einen Job finden, die eigenen Werte und Normen in Frage stellen und große Anpassungsleistungen erbringen. 
Die Bildungssysteme sind komplex und unterscheiden sich stark von denen der Herkunftsländer. Es braucht immense Anstrengungen, und den Kindern einen guten Bildungsweg oder Betreuungsoptionen zu ermöglichen und gleichzeitig selbst Fuß fassen zu können. Darüber hinaus machen die Familien Erfahrungen mit Diskriminierung und einem veränderten gesellschaftlichen und sozialen Status, auch Erziehungsziele und -stile müssen auf den Prüfstand gestellt werden. 
Die Situation in einigen Herkunftsländern belastet viele Familien zusätzlich: der Krieg Russlands in der Ukraine oder die Situation im Nahen Osten sind nur zwei von vielen Beispielen. Aber auch das Leben in Deutschland ist nicht einfacher geworden: Familien finden oft keinen angemessenen Wohnraum. Besonders belastet sind Familien in Armutslagen.

 
Mit dieser Tagung wurde die Komplexität der Lebenslagen migrantischer Familien in vielen Facetten sichtbar gemacht. Folgende Ziele wurden dabei verfolgt: die Erhöhung der Sensibilität für die Herausforderungen und Chancen der Familien, das Aufzeigen von Wegen zur Wertschätzung der Ressourcen, die die Familien mitbringen und das Mitdenken migrantischer Familien in der Familienpolitik, der Verwaltung und in der Arbeit unserer Kooperationspartner*innen. 


Unser Anliegen als bbt ist es, die Einbeziehung von fachlich aufgestellten, demokratischem Migranten*innenorganisationen in familienpolitische Planungen voranzubringen sowie Wertschätzung für unsere Arbeit als Vertretung migrantischer Eltern, Sorgeberechtigter und Familien zu erlangen.

Anja Treichel
Geschäftsführerin des bbt


Grußworte

Wir bedanken uns für die Grußworte von 

Keynote

Herausforderungen für Familien im Migrations- und Fluchtkontext  
Dr. Banu Çıtlak 
Dr. Banu Çıtlak ist Migrationssoziologin, Gastprofessorin an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg und Privatdozentin an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg i.Br. 

Lebenslagen von Familien mit Migrations- und Fluchtgeschichte

Familien mit Migrations- oder Fluchterfahrung stehen vor komplexen Herausforderungen, die ihre Teilhabe erschweren. Drei zentrale Faktoren beeinflussen ihre Lebenssituation:

1. Sozioökonomische Lage, Bildung und Wohnkontext

Migrantische Familien sind in Deutschland finanziell oft schlechter gestellt. Die Armutsquote unter ihnen liegt mit 25 % deutlich höher als die von Einheimischen (14 %). Arbeitslosigkeit betrifft sie doppelt so häufig, und besonders geflüchtete Frauen sind oft erwerbslos. 
Kinder mit Migrationshintergrund besuchen seltener Kitas und sind an Hauptschulen überrepräsentiert. Der Zugang zu höheren Bildungsabschlüssen ist für viele erschwert.
Besonders gravierend ist die räumliche Segregation: Migrantische Familien leben oft in sozial benachteiligten Stadtteilen mit wenig Bildungseinrichtungen und schlechter Infrastruktur.

2. Kultur, Religion und Lebensweise

Die Migration verändert familiäre Rollen und Hierarchien. Väter, die in ihrer Heimat als Hauptverdiener galten, verlieren oft diese Position, was zu Konflikten und Gewaltverhalten führen kann. Gleichzeitig gewinnen Frauen an Selbstständigkeit.
Ein kultureller Wandel zeigt sich auch bei den Erziehungszielen: Während in Herkunftsländern oft Respekt und Gehorsam im Vordergrund stehen, werden in Deutschland Autonomie und Individualität wichtiger. Väter spielen eine zunehmend aktive Rolle in der Erziehung, aber traditionelle Geschlechterrollen bleiben in vielen Migrantenfamilien bestehen.
Der Einfluss der Religion variiert je nach Generation: Enkelkinder kehren häufig zu den religiösen Werten ihrer Großeltern zurück.

3.    Flucht- und Migrationserfahrungen


Flucht- und Migrationserfahrungen belasten Familien erheblich. Zu den häufigsten Problemen gehören ungleiche Akkulturation zwischen Generationen, soziale Isolation, Partnerkonflikte und familiäre Krisen, Diskriminierung und soziale Barrieren. Religiöse Werte und familiärer Zusammenhalt werden unter Umständen als Schutzmechanismen genutzt. Manche Familien suchen auch alternative Aufstiegsmöglichkeiten außerhalb des Bildungssystems.

Dr. Çıtlak schlägt vier Wege vor, um migrantische Familien zu stärken:


Fazit


Migrantische- und geflüchtete Familien stehen in Deutschland vor erheblichen Mehrfachbelastungen, insbesondere in den Bereichen Bildung, Arbeit und soziale Teilhabe. Gleichzeitig entwickeln sie unter starkem Druck auf das Familiensystem Strategien zur Bewältigung von Diskriminierung und zur Wahrung ihrer kulturellen Identität. Um ihre Teilhabe zu fördern, sind gezielte Maßnahmen zur Anerkennung ihrer Leistungen und zur Stärkung sozialer Teilhabe erforderlich.

Keynote_FamPower_Tagung_Citlak finden sie die Slides der Keynote.



Podiumsgespräch


Priv.-Doz. Dr. Banu Çıtlak; Migrationssoziologin, Gastprofessorin an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg und Privatdozentin an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg i.Br. 
Alain Missala; Gründer von “Black Dads Germany” und der inklusiven Online- 
Bibliothek für Kinder “ZULA”Prof.  
Dr. Ellen Kollender; Juniorprofessorin für Inklusion und Diversität an der Leuphana 
Universität Lüneburg 
Dr. Natalia Roesler; Vorstandssprecherin Bundeselternnetzwerk     

Prof. Kollender führte aus, wie die Kategorie des „Migrationshintergrundes“ wird immer wieder herangezogen, um gesellschaftliche Missstände zu erklären. Die Defizitperspektive auf Eltern mit Migrationshintergrund in vielen Bereichen der Erziehung und familiären Lebens führt dazu, dass Missstände vor allem auf der Seite der Eltern, der Familien bearbeitet wird – weniger auf Seiten der Institutionen und staatlichen Strukturen. Die Frage, welche Rolle z.B: die Schule bei den Ausschlüssen spielt, stellt sich dann nicht. Kollender spach einen Aufsatz von Tara Yosso, mit dem Titel: „Whose culture has capital?“ an. Hier hinterfragt Yosso bestimmte Normalitätsverständnisse von familiärem Kapital. Kollender stellte die Fragen, welche familiären Ressourcen als wichtige Ressourcen angesehen werden und die Leistungen von Familien, sich durch Ungleichheitsverhältnisse zu manövrieren, besser anerkannt und sichtbar gemacht werden können. Sie betont, dass diese aber nicht nur sichtbar gemacht werden müssen sondern diskriminierungserfahrene Familien als diskriminierungskritische Veränderungsakteure in die Transformation dieser Verhältnisse einbezogen werden müssen. Priv.-Doz. Dr. Citlak stimmte dem Bedarf nach Sichtbarmachung und Anerkennung von elterlicher Leistungen zu. 
Alain Missala berichtete von der Vätergruppe Black Dads Germany, die einen Beitrag zur Neuerzählung der Narrative über schwarze Väter und Familien leistet. Missala nutzte ein Konzept, das sich sehr gut reproduzieren lässt. Er hat schwarze Väter ermutigt, ihre eigenen lokalen Gruppen zu gründen und die einfach zu befolgenden Formate von BDG zu übernehmen. Dieser niedrigschwellige und zugängliche Ansatz ermöglicht es Vätern, Treffen, Infoveranstaltungen und Aktivitäten zu organisieren, die den Bedürfnissen ihrer lokalen Community entsprechen. Und dennoch sind sie Teil einer größeren, nationalen Bewegung um positive Bilder von Schwarzen Familien in Deutschland zu verbreiten. Missala betont auch, dass es bei Anerkennung nicht nur um ideelle Würdigung geht, sondern auch um finanzielle Förderungen und Einbezug in Projekte und Formate.
Dr. Natalia Roesler wies auf den Umgang mit migrantischen Kindern und Eltern im Umfeld von Schule hin. Die Ausgrenzungen im Bildungssystem wirken oft in andere Bereiche des Aufwachsens und des Familienlebens ein. Die Bedingungen in den Schulen für Kinder aus migrantischen Familien haben sich wenig verändert. Dr. Citlak betonte